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Sucht und Abhängigkeit

Die Bezeichnungen Sucht und Abhängigkeit werden im Sprachgebrauch oftmals synonym verwendet. Sucht wird als das zwanghafte Verlangen nach bestimmten Substanzen oder Verhaltensweisen definiert. Die Substanzen oder Verhaltensweisen werden konsumiert beziehungsweise beibehalten, obwohl negative Konsequenzen für die betroffene Person und für andere damit verbunden sind.

Abhängigkeit bedeutet, dass der/die Konsument/-in nicht mehr ohne das Suchtmittel (Alkohol, Drogen, Medikamente) leben kann. In der Fachsprache nennt man dies das »Abhängigkeitssyndrom«. Es zeichnet sich durch eine Anzahl von seelischen und/oder körperlichen Erscheinungen aus. Es kann zwischen substanzgebundenen und substanzungebundenen Abhängigkeiten unterschieden werden. Substanzgebundene Abhängigkeiten sind an den Konsum psychotroper Substanzen (z. B. Alkohol, Nikotin, Cannabis) gebunden. Psychotrop bedeutet, dass die eingenommenen Substanzen das Bewusstsein und die Psyche verändern können. Substanzungebundene Abhängigkeit spiegelt sich im exzessiven und mit Kontrollverlust verbundenen Ausüben bestimmter Tätigkeiten wider (zum Beispiel Glücksspielen, Nutzung von Social Media etc.). 
Zur Diagnose von psychischen Erkrankungen werden international zwei Klassifikationssysteme verwendet: das Internationale Klassifikationssystem für Erkrankungen (International Classification of Diseases – ICD – aktuell noch in der 10. Auflage) der Weltgesundheitsorganisation (WHO). und das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders – DSM-5) in der 5. Auflage.

Gemäß der Diagnostik der ICD-10 darf die Diagnose Abhängigkeit nur gestellt werden, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien während des letzten Jahres vorhanden waren:

  1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren.
  2. Verminderte Kontrollfähigkeit in Bezug auf den Beginn, die Beendigung oder die Menge des Konsums.
  3. Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums, nachgewiesen durch substanzspezifische Entzugssymptome oder durch die Aufnahme der gleichen oder nahen verwandten Substanzen, um Entzugssymptome zu vermindern oder zu vermeiden.
  4. Nachweis einer Toleranz gegenüber der Substanz, im Sinne von erhöhten Dosen, die erforderlich sind, um die ursprüngliche durch niedrigere Dosen erreichte Wirkung hervorzurufen.
  5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügungen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums sowie ein erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen.
  6. Anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutig schädlicher Folgen.

Am 01. Januar 2022 trat die ICD-11 in Kraft. Seitdem können die Mitgliedsstaaten der WHO ihre Mortalitätsdaten kodiert nach ICD-11 an die WHO berichten. Erst nach einer flexiblen Übergangszeit von mindestens 5 Jahren soll die Berichterstattung nur noch ICD-11-kodiert erfolgen. Der konkrete Zeitpunkt einer Einführung der ICD-11 in Deutschland zur Mortalitätskodierung steht bisher noch nicht fest. Auch die Einführung der ICD-11 in Deutschland zur Morbiditätskodierung wird wegen der damit verbundenen Komplexität noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt die ICD-10 die gültige amtliche Klassifikation für Deutschland.

Für Pathologisches Glücksspiel wurden sowohl im ICD-10 als auch im DSM-5 eigene Diagnosekriterien formuliert. Pathologisches Glücksspiel besteht in häufigem und wiederholtem episodenhaften Glücksspiel, das die Lebensführung der betroffenen Person beherrscht und zum Zerfall des sozialen, beruflichen, materiellen und familiären Umfeldes führen kann. Außer dem Pathologischen Glücksspiel sind bisher keine weiteren substanzungebundenen Suchtformen in die ICD-10 aufgenommen worden. Die WHO hat jedoch die Computerspielsucht (Gaming Disorder) in das ICD-11 aufgenommen und sie somit als eigene psychische Störung anerkannt. Für eine Diagnose der Computerspielsucht müssen die folgenden drei Kriterien erfüllt sein: (1) entgleitende Kontrolle etwa bei Häufigkeit und Dauer des Spielens, (2) wachsende Priorität des Spielens vor anderen Aktivitäten und (3) Weitermachen auch bei negativen Konsequenzen (beispielsweise berufliche, soziale und familiäre Folgen).

Zur Erklärung der Entstehung von Abhängigkeitserkrankungen wird auf das sogenannte bio-psycho-soziale Modell zurückgegriffen. Nach diesem Modell beruht die Entstehung einer Abhängigkeitserkrankung auf einem multifaktoriellen Bedingungsgefüge, das die Faktorengruppen

  • spezifische Wirkungen der Substanz,
  • individuelle Merkmale der konsumierenden Person,
  • soziale Faktoren der Umgebung

umfasst. Sie sind je nach Substanz, Person und Umgebung in unterschiedlichem Maße wechselseitig wirksam. Das Gefüge ist nicht statisch, sondern dynamisch. In diesem interaktiven Prozess gibt es somit nicht die eine Ursache oder den einen deterministisch wirkenden Einzelfaktor. Viele Faktoren tragen zur Entstehung und zum Verlauf bei, wobei die Wichtigkeit der Faktoren über die Lebensspanne hinweg variiert.

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